Mit einem beinah neugierigen Blick schauen diverse Augen in alle Richtungen, als versuchen sie, die Welt um sich herum genau zu erfassen. Die vorliegende Seite des Levezow-Albums ist geschmückt durch mehrere Augen aus verschiedenen Winkeln und mit diversen Blickrichtungen. Zu sehen sind Okuli im Seitenprofil, frontal, von oben und von unten. Die Lider sind meist halb geöffnet oder in einem Fall auch komplett verschlossen. Die Technik, einzelne Körperteile in verschiedenen Perspektiven und Ausschnitten abzubilden, nennt sich ABC-Methode. Durch diese Wiederholung findet eine geistige Schulung statt, um sich ein Bildergedächtnis anzulegen. [1] Ziel ist es, Hand und Kopf zu trainieren, um wie bei einem Baukastensystem einen menschlichen Körper aus diversen Teilen zusammenzusetzen.
Das Auge ist ein Körperteil, das Zeichenanfänger in ihren Skizzen oft darstellen. Durch seine simple Grundform, Oval und Kreis, erscheint die Wiedergabe einfach, ist jedoch schwer zu meistern. [2] Darüber hinaus kommen Augen und ihrem Ausdruck ein bedeutender Anteil bei der Vermittlung von Gefühlen in der figürlichen Malerei zu. Die Augen eines Menschen genau richtig zu zeichnen, ist somit ein wichtiger Teil der künstlerischen Praxis.
Joachim Etzechiel Levezow zeichnete hier nach einer gedruckten Vorlage, die auf das „große“ Lehrbuch von Odoardo Fialetti Il uero modo et ordine Per Dissegnar Tvtte Le Parti Et Membra Del Corpo Hvmano (1573-1638) zurückgehen dürfte (Bild sehen). Die Darstellungen aus dem Levezow-Album sind jedoch keine gewissenhaften Kopien nach Fialetti, da die Augen hier in einer veränderten Reihenfolge und teilweise gespiegelt erscheinen. Es ist vielmehr zu vermuten, dass der Zeichner das 1638 erschienene Zeichenlehrbuch Tyrocinia Artis des Johannes Gellee zur Verfügung hatte, das eng an Fialettis Werk angelehnt ist und über mehrere nahezu identische Darstellungen verfügt. [3] Darunter befindet sich auch ein Blatt mit Augen in identischer Anordnung und Ausrichtung wie im Levezow-Album.
[1] Vgl. Nino Nanobashvili: Die Ausbildung von Künstlern und dilettanti. Das ABC des Zeichnens, Petersberg 2018, S. 102.
[2] Nino Nanobashvili: The Epistemology of the ABC Method: Learning to Draw in Early Modern Italy, in: Drawing Education – Worldwide!, hrsg. v. Nino Nanobashvili, Tobias Teutenberg, Heidelberg 2019, S. 35-52, hier S. 50.
[3] Hinweis von Iris Wenderholm. Vgl. Johannes Gellee: Tyrocinia artis pictoriae caelatoriae ac sculptoriae, Amsterdam: Visscher 1639, vgl. dazu Jaap Bolten: Method and Practice. Dutch and Flemish Drawing Books 1600-1750, Landau 1985, S. 134-135.