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Die sieben Tugenden

Die sieben Tugenden

Die Vorlagen, derer sich Joachim Etzekiel Levezow bediente, deuten darauf hin, dass er Zugang zu diversen Kupferstichen und Zeichenbüchern hatte. Viele dieser Kunstbücher, wie zum Beispiel Sebald Behams Kunst und Lehrbüchlein. Malen und Reissen zu lernen (Frankfurt am Main 1552), richten sich unter anderem an kunstinteressierte Laien. Der Leser wird ermutigt die Vorlagen nachzuzeichnen, denn durch das Kopieren wird eben das Zeichnen erlernt: Die Hand wird trainiert, der Blick geübt. So soll selbst Michelangelo Buonarroti (1475-1564) seinen Schüler Antonio Mini mit den Worten „Zeichne, Antonio, zeichne, Antonio und verliere keine Zeit!“ [1] bestärkt haben, so oft wie möglich zu zeichnen.

Die Nachzeichnung von Werken war fester Bestandteil der dreijährigen Lehre in den Künstlerwerkstätten im 16. Jahrhundert. [2] Auch in den Akademien des 16. und 17. Jahrhunderts wurde im Laufe der künstlerischen Ausbildung Wert daraufgelegt, Werke von bereits etablierten Künstlern nachzuzeichnen und sich somit im Zeichnen zu üben. [3] Das Kopieren von Vorlagen zur Übung der eigenen Hand war damals so wie heute eine grundlegende Methode zum Zeichnenlernen. So gibt es auch heute noch moderne Kunstbücher, die den Leser durch das Nachzeichnen von Vorlagen an das Zeichnen heranführen. Es liegt also nahe, dass Levezow durch diese Methode versuchte, sich selbst das Zeichnen beizubringen oder als Kunstinteressierter seine Entwicklung festhalten wollte.

Dieses Blatt des Levezow-Albums zeigt die sieben kanonischen Tugenden. Alle sieben Zeichnungen sind gleichmäßig in drei Reihen über das Blatt verteilt. Oben links beginnend, sind in der ersten Reihe die theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zu sehen. In der Reihe darunter folgen von links nach rechts die Kardinaltugenden: Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Die Mäßigung als siebte und letzte Tugend befindet sich mittig unter der Gerechtigkeit und gibt dem ganzen Blatt eine gewisse Symmetrie, trotz der ungeraden Zahl an Personifikationen. Jede kleine Zeichnung ist umgrenzt von einem rechteckigen Rahmen und mit Bildunterschriften versehen. Als Vorlage bediente sich Levezow hier der Kupferstiche von Abraham Bosse, die als Serie mit dem Titel Theologicarum ac Cardinalium Virtutum Icones erstmals im Verlag von Herman Weyen 1636 in Paris erschienen (Bild sehen). [4] Die auf Latein verfassten Bildunterschriften der einzelnen Zeichnungen auf dem Blatt entstammen der Bibel und beziehen sich unmittelbar auf die Tugenden. Sie finden sich genauso auf den Kupferstichvorlagen:

Der Glaube: „Sine fide impossibile est placere Deo. Heb.11.“ („Ohne Glauben […] ist es unmöglich (Gott) zu gefallen.“ (Hebr 11,6))

Die Hoffnung: „In te domine speraui, non confundar. Psal. 70.“ („Meine Hilfe und mein Retter bist du. Herr, säume doch nicht!“ (Ps 70,6))

Die Liebe: „Maior horum est charitas. I. Cor.13.“ („ […] doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13).

Die Klugheit: „Scientia Sanctorum Prudentia Prou: 9“ („[…] die Kenntnis des Heiligen ist Einsicht.“ (Spr 9,10)).

Die Gerechtigkeit: „Diligite iustitiam qui iudicatis terram. Sap. 1“ („Liebt Gerechtigkeit, ihr Herrscher der Erde“ (Weish 1,1)).

Die Tapferkeit: „Fortitudo et laus mea dominus. Psal. 117“ („Lobet den Herrn […]. Denn mächtig waltet über uns seine Huld.“ (Ps 117,1-2)). 

Die Mäßigung: „Sobrie et iuste et pie viuamus. Tit 2“ („[…] besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben.“ (Tit 2,12)).

Besonders auffallend an den Zeichnungen ist der Detailgrad der Ausführung. Levezow hat sich offenbar bemüht, die Vorlagen so genau wie möglich zu kopieren. So sind beispielsweise die architektonischen Elemente, die die Figur des Glaubens umgeben, präzise, wenn auch etwas unbeholfen, abgezeichnet. Der Hintergrund der Justitiazeichnung wird so detailgetreu wie möglich abgebildet und auch die Faltenwürfe in den Kleidern der verschiedenen Tugenden werden versucht, so akkurat wie möglich wiederzugeben. Die größte Schwierigkeit scheint Levezow beim Abzeichnen der Gesichter gehabt zu haben, die, im Vergleich zu anderen Partien der Zeichnungen, durch ihre stark vereinfachten Ausführungen auffallen. Dennoch lässt sich sagen, dass die Sorgfalt beim Kopieren von einer genauen Beobachtung der Kupferstichvorlagen zeugt. Die detailgetreue, teilweise unsichere Umsetzung der Zeichnungen zeigt den Lernprozess Levezows, der sich hier, wie auch auf den übrigen Seiten des Albums beobachten lässt.

Autor:in: Gizem Kapaklikaya

Fußnoten

[1] Josepha Bosshart: Die Entwicklung der Zeichenausbildung seit dem 16. Jahrhundert – Von der Werkstatt zur Kunstakademie, in: Zeichenunterricht. Von der Künstlerausbildung zur ästhetischen Erziehung seit 1500, Petersberg 2017, S. 27-40, hier S. 27.

[2] Vgl. Bosshart 2017, S. 27.

[3] Vgl. Bosshart 2017, S. 35.

[4] Georges Duplessis: Catalogue de l'oeuvre de Abraham Bosse, Paris 1859, Kat. 177-184, S. 41f.