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Weiße Lilie

Weiße Lilie

Markant zeichnet sich vor dem schwarzen Grund das typisierte Normportrait einer – gemein als Madonnenlilie bekannten – Lilium candidum ab, das ihre Sprossachse, weißen Blüten und goldenen Staubgefäßen zeigt. Diese im Zeichenbuch einzigartige Art der Inszenierung evoziert eine nächtliche Szenerie und antizipiert die brillanten Pflanzenstudien von u.a. Barbara Dietzsch, Anna Murrer und Elisabeth Matthes, aus denen sie später ihre Stillleben erwachsen ließen: Jene mimetisch naturnachahmende und gleichzeitig symbolkräftige Gattung verlieh Blumen als Kunstobjekt seit ihrer Entstehung im ausklingenden 16. Jahrhundert exponierten Stand und verhalf simultan ersten Künstlerinnen, sich mit kommerziellen Erfolgen etablieren zu können, trotz der männlichen Hegemonie über die Kunstwelt. [1] Historisch kodiert ist die im Paradiesgarten vorkommende weiße Lilie mit Jungfräulichkeit (meist Mariens) sowie Reinheit und Spiritualität, [2] doch erschöpft sich die Bedeutung hier nicht in ihrer religiösen Dimension: wie bei den weiteren Blumenzeichnungen gilt das Interesse ihres Künstlers vielmehr dem Studium der Pflanze selbst. Diese Bildergruppe sticht dabei, gleichwie die im Buch chronologisch anknüpfenden ornithologischen Studien, durch ihr Medium und ihre Ausführungsfinesse hervor. Die sicher mit Pinsel gesetzten, satten Deckfarben und die quantitative Häufung dieser Blätter werfen die Frage auf, ob sie Levezows Spezialisierung waren und er sich vorrangig als Naturmaler verstand. [3]

Noch wurde für das Blatt kein Vorbild ermittelt, doch es handelt sich entweder um Levezows inventio oder um die Kopie nach einem der zahlreichen zeitgenössischen Florilegien. Jene dokumentierten meist die opulenten Gärten oder Naturalienkabinette des Adels und entstanden ab dem 17. Jahrhundert. Zuvor erfuhren nur Nutz- und Medizinalpflanzen Publizierung, aber mit dem Erstarken der Botanik wurden Blumen auch aufgrund ihrer prächtigen Erscheinung zelebriert und darum gedruckt – wichtig war dabei die sukzessive mediale Ersetzung des Holzschnitts mit dem kostspieligeren Kupferstich, der präzisere Modellierungsmöglichkeiten bot und im Nachhinein häufig noch händisch koloriert wurde. [4] Diese primär ästhetisierende Betrachtung übersetzte sich auf die gewählte Präsentation in den Druckwerken: die geschätzte Blüte wurde hervorgehoben, während das knorrige Wurzelwerk und eine systematische Entschlüsselung der Organe – beides unerlässlich für die Taxonomie – oftmals fehlten. Womöglich war es also der Wunsch, ein privates Florilegium zu schaffen, um seine Umwelt künstlerisch einzufangen, der unseren adligen Laienzeichner zu diesen Blättern inspirierte.

Autor:in: Ruben Wagner

Fußnoten

[1] Vgl. Sandra Pisot: Typisch weiblich? Künstlerinnen und die Historien- und Blumenmalerei, in: Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten, hrsg. v. Katrin Dyballa, Bodo Brinkmann, Ariane Mensger, Ausst.-Kat. Hamburg, Bucerius Kunst Forum, München 2023, S. 42–49.

[2] Vgl. Celia Fisher: Blumen in der Renaissance. Symbolik und Bedeutung, München (u.a.) 2011, S. 34–45.

[3] Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Martin Hirschboeck.

[4] Vgl. Eduard Isphording: Kräuter und Blumen. Kommentiertes Bestandsverzeichnis der botanischen Bücher bis 1850 in der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Nürnberg 2008, S. 71–82.