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Weiblicher Akt in Bewegung

Weiblicher Akt in Bewegung

Auf dieser Seite befindet sich eine Pinselzeichnung eines weiblichen Aktes. Die Frau ist stehend in Schrittstellung gezeigt, ihre Arme sind in einer schockierten oder überraschten Geste von ihrem Körper abgespreizt. Entgegen ihrer Schrittrichtung nach rechts ist ihr Kopf nach links gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck ist wenig bewegt, ihr Blick geht ins Leere. Es wirkt, als sei sie in ihrem Tun plötzlich gestoppt worden. Ein Tuch, das sich im Fallen um ihr linkes Bein zu wickeln scheint, zeugt von der vorherigen Bewegung. Die Figur ist ohne Umgebung gezeichnet, lediglich kleine Schlagschatten an ihren Füßen deuten einen nicht weiter definierten Raum an.

Stilistisch fokussiert sich der Künstler überwiegend auf Umrisslinien. Dreidimensionalität wird durch flächige Schattierungen, insbesondere im Bereich des Torsos und der Arme erzeugt, ebenso kann daher auf eine imaginative Lichtquelle links außerhalb der Zeichnung geschlossen werden. Auf starke Kontraste oder Schraffuren wird jedoch weitestgehend verzichtet. Dies steht im Kontrast zu den umliegenden roten Pinselzeichnungen im Album. [1] Hier sind kräftigere Linien und Schraffuren prominent verwendet. Im Vergleich dazu wirken die Linien dieses Aktes nahezu zögerlich. Möglicherweise lässt sich dies erklären, wenn berücksichtigt wird, dass hier keine Spuren einer unterliegenden Vorzeichnung auszumachen sind, anders als bei den übrigen Pinselzeichnungen.

Ebenfalls auffällig ist die fehlerhafte Anatomie der dargestellten Figur. Die falschen Proportionen der Arme und Beine sowie deren unschlüssige Darstellung im Raum zeugen davon, dass das Vermögen zur korrekten Konstruktion von Körpern nicht vorliegt. Dies deutet darauf hin, dass diese Figur, wie viele andere des Albums auch, vom Künstler abgezeichnet wurde. Eine Vorlage konnte jedoch nicht ermittelt werden. Aufgrund des generellen Vorlagenkanons des Albums sowie dem größeren Interesse am weiblichen Aktstudium nördlich der Alpen [2] ließe sich, zumal stilistisch stimmig, eine Vorlage in der niederländischen Druckgraphik vermuten. Auch die Frage nach dem Sujet muss daher offenbleiben. Möglich wäre jedoch, dass es sich um Diana oder eine Nymphe handelt, die beim Bad von Actaeon überrascht wird, oder eine Figur einer vergleichbaren Szene. [3] Dies unterstützt die Darstellung einer Gruppe badender Nymphen auf der Folgeseite des Albums.

Autor:in: Svenja Hasche

Fußnoten

[1] Weitere Zeichnungen mit Pinsel in Rot im Album u.a.: Liegende Venus (Folio 30 verso), Spinario und Kopf (Folio 31 recto), Nymphen beim Bade (Folio 32 recto), Der Sehsinn und weitere Sinne (Folio 32 verso und Folio 33 recto).

[2] Pose, Inszenierung sowie die Körperlichkeit der Figur lassen einen Hintergrund der Vorlage im Aktstudium schlüssig erscheinen. Andreas Tacke erarbeitet in dem hier zitierten Aufsatz die Präsenz von weiblichen Aktmodellen in den Künstlerwerkstätten des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden und Deutschland heraus, vgl. Andreas Tacke: ‚Wenn Sie meinen Rat hören wollen, meine Herren, …‘. Zu Antiken, Abgüssen, und weiblichen Aktmodellen in nordalpinen Akademien und Künstlerwerkstätten des 17. Jahrhunderts, in: Pygmalions Werkstatt. Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus, hrsg. v. Helmut Friedel, Köln 2001, S. 55-70, S. 66-67.

[3] z.B. Dianas Nymphen von Satyrn überrascht.