Auf diesem Blatt ruht eine unbekleidete Frau seitlich auf einer ausgebreiteten Decke. Ihr rechter Arm stützt ihren Oberkörper, während ihr linker Arm nach hinten ausgestreckt nach der Decke greift. Um ihre Hüfte ist ein Band gewickelt, der ihre weiblichen Formen betont. Auf ihrem Kopf trägt sie einen Schleier, aus dem einige Haarsträhnen hervorschauen. Zwei Perlenketten schmücken ihren Hals. Der Zeichner nutzte für die Komposition Rötel und Bleistift. Es scheint so, als ob mit dem Bleistift die Figur und Decke vorskizziert wurde, bevor der Zeichner mit Rötel Schattierungen und kleinere Details ergänzte.
Das Blatt stellt vermutlich die liegende Venus dar, ein beliebtes Sujet in der Kunst der Frühen Neuzeit. Das Kopieren oder auch Nachahmen von gültigen und gängigen Lösungen war ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung in den Akademien. [1] Auch außerhalb der akademischen Künstlerausbildung war das Kopieren gängige Praxis. Bei Betrachten der Proportionen wird deutlich, dass der Kopf und das Gesicht der Venus im Vergleich zum Körper zu klein sind, die Arme und Hände hingegen zu groß. Der Zeichner nutzte vermutlich eine niederländische Druckgrafik des 16. oder 17. Jahrhunderts als Vorlage. [2] Es ist jedoch unklar, an welchem Werk er sich genau orientierte. Das Blatt weist Ähnlichkeiten mit dem Kupferstich Venus am Fuße eines Baumes auf einem Bett liegend mit Amor, umgeben von einem Rahmen und Amoretten (1601-1621) von Heinrich Ulrich (1572-1621) nach Hendrick Goltzius (1558-1617) auf. [3] Eine weitere Venusdarstellung von Goltzius hat Ähnlichkeiten mit der Hamburger Zeichnung, die als Blatt 2 einer Folge von drei Göttinnen erschienen ist (1596). [4] Vielleicht hat sich der Künstler auch von Jacob Mathams Kupferstich Venus (1599-1602) inspirieren lassen. [5] Womöglich hat der Zeichner einzelne Elemente aus unterschiedlichen Druckgrafiken entnommen und sie in seiner Zeichnung zusammengeführt. So schuf der Künstler seine eigene Studie eines weiblichen Aktes und zeigt damit die weitverbreitete Faszination und Nutzung niederländischer Druckgrafik. [6]
[1] Nino Nanobashvili: Die Ausbildung von Künstlern und Dilettanti: das ABC des Zeichnens, Petersberg 2018, S. 57.
[2] Mareike Hansen: Tinte, Tusche und Rötelstift: Skizzen nach niederländischer Druckgrafik, in: Kunstpflege in Bibliotheken – Kür oder Pflicht? Wege zur Sichtbarmachung forschungsrelevanter Druckgrafik an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Hamburg 2020, S. 113.
[3] The New Hollstein Dutch & Flemish etchings, engravings and woodcuts, 1450 – 1700, Hendrik Goltzius, Part I, komp. v. Marjolein Leesberg, hrsg. v. Huigen Leeflang, Ouderkerk aan den Ijssel 2012, S. 223, NH. 602.
[4] The New Hollstein Dutch & Flemish, Goltzius, Part III, 2012, S. 307, NH. 142.
[5] The New Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450 – 1700, Jacob Matham, Part II, komp. v. Léna Widerkehr, hrsg. v. Huigen Leeflang, Rotterdam 2007, S. 80-81, NH. 181.
[6] Hansen 2020, S. 120.